Eindrücke aus einer unbekannten Weinregion
Urs Fischer lässt dich teilhaben an seinem eindrücklichen Besuch bei der Bodegas Breca in Spanien. Erhalte einen Einblick in die spanische Weinkultur und die Weinregion Calatayud.
ein Bericht von Urs Fischer
Wenn jemand eine Reise tut…
Nun sitze ich hier am Flughafen in Madrid und lasse die letzten zwei Tage Revue passieren. Wir – meine Frau Monika und ich – sind nach Madrid geflogen, da ich endlich einen schwarzen Fleck auf meiner weingeografischen Landkarte besuchen wollte: Calatayud. Diese eher unbekannte Weinanbauregion zwischen Madrid und Saragossa ist vor zwei Jahren in mein Bewusstsein gekommen, als ich eine Kellerei entdeckt habe, die aussergewöhnliche Garnachas produziert – und das zu äusserst moderaten Preisen. Ein weiterer Grund für unseren Besuch ist der Besitzer der Kellerei: Jorge Ordoñez. Ein Mann, der massgeblich an der Entwicklung einiger der ganz grossen Weine Spaniens beteiligt war, so zum Beispiel beim Numanthia aus dem Toro oder in Alicante beim Clio. Heute produziert Jorge Ordoñez Weine in Rueda, Rías Baixas, Valdeorras, Toro, Ribera del Duero, Rioja und Malaga. Da wollte ich mir vor Ort selber ein Bild machen.
Die Reise von Madrid nach Munebrega in Calatayud dauert mit dem Auto gut zwei Stunden. Jetzt Ende Februar haben wir einen grauen Tag mit hochnebelartiger Bewölkung erwischt. Wie uns später mitgeteilt wird, handelt es sich um eine grosse Wolke Saharastaub, die sich von Afrika über Spanien Richtung Südfrankreich bewegt. In der Kellerei werden wir von der Oenologin Marta empfangen. Ein kurzes Shake-hands und dann ab in die Rebberge.
Alt, älter, Calatayud
Was wir hier antreffen, übertrifft meine Erwartungen bezüglich «alter Reben» bei Weitem. Alte Reben sind heute in aller Munde, jeder spricht davon. Aber diese Reben hier sind wirklich alt. Im Normalfall geht man von Rebstöcken aus, die 25 Jahre oder etwas älter sind. Zu diesem Zeitpunkt produzieren die Reben altersbedingt weniger, dafür konzentriertere Trauben. Für den kommerziellen Weinbau sind die Erträge dann oft zu klein und nicht mehr rentabel. Die Stöcke werden daher oft ausgerissen und durch Neupflanzungen ersetzt. Die erste Parzelle, die wir besichtigen ist für die Produktion des Oronta reserviert. Ein reiner Garnacha, den wir bei uns im Weinladen für knapp unter 15 Franken verkaufen. Das Alter der Rebstöcke: 70 Jahre. Ich muss da was falsch verstanden haben: «Entschuldigung, wie alt sind die Reben?», daher meine Frage. «Setenta años, seventy years», wiederholt Marta. «Ja, und was produzieren die Reben noch?», will ich weiter wissen. Rund 3‘000 kg pro Hektar war die Antwort. Ich rechne: knapp 3‘000 Flaschen pro Hektare. Das sind Erträge wie bei einem Premier Cru aus dem Burgund – nur dass dort die Flasche wesentlich mehr als 15 Franken kostet.
Weiter geht es zum nächsten Rebberg, wo die Trauben für den Breca wachsen. Der wurde etwa um 1900 gepflanzt, direkt nach der Reblausinvasion (Zerstörung der Rebberge durch die aus Amerika eingeschleppte Reblaus Ende des 19. Jahrhunderts. Ein Grossteil der europäischen Rebbergbestände musste neu angepflanzt werden). Man rechne selber! Kleine knorrige Stöcke stehen da auf lehmigem Boden mit roten Schiefersteinen. Ab und zu fehlt einer in der Reihe, denn nicht alle Stöcke erreichen das hohe Alter von über 100 Jahren. Der Ertrag hier beläuft sich auf 1‘000 kg pro Hektare. Bei dieser geringen Menge reichen die Trauben eines Stockes nicht einmal für eine Flasche Wein. Nun kann ich verstehen woher diese Tiefe und Konzentration beim Breca kommt. Aber auch die Mineralität, die Länge und die Ausgewogenheit.
Dry Farming?
«Wie hoch ist euer Arbeitseinsatz in den Rebbergen?» möchte ich wissen. Marta meint, dass sie verschieden Vorteile haben. Mit beispielsweise nur etwas mehr als 300 mm Niederschlag im Jahr haben sie praktisch keine Probleme mit Mehltau oder anderen Schädlingen. Zwei gering dossierte Spritzungen gegen Pilzbefall pro Jahr reichen. Als Vergleich: bei uns in der Schweiz liegt die Niederschlagsmenge im Bereich des 3- bis 4-fachen – da ist entsprechend mehr Pflanzenschutz notwendig. Mit so geringem Niederschlag muss man wohl entsprechend bewässern, ist meine Schlussfolgerung. «Nein, bei uns ist alles Dry Farming», antwortet Marta. Dry Farming? Was bedeutet denn das wieder?
Alle Weine von Jorge Ordoñez werden nach den Grundsätzen von Dry Farming produziert. Ein Label, das er selber entwickelt hat. Bei Dry Farming wird unter anderem komplett auf das Bewässern der Reben verzichtet. Das funktioniert allerdings nur mit alten Reben, die ganz tief wurzeln. Dazu kommen in Calatayud Lehmböden mit Schiefer, die das wenige Wasser gut speichern. Herbizide und Insektizide werden keine eingesetzt. Also produziert ihr biologisch? «Ja, im Prinzip schon. Aber wir sind nicht zertifiziert und haben kein Label. Eigentlich arbeiten wir nicht viel anders als es unsere Grossväter und Urgrossväter schon gemacht haben», ist die Antwort von Marta. Zur Philosophie von Dry Farming gehört auch, dass nur mit autochthonen Sorten und alten Klonen gearbeitet wird. Diese ergeben zwar meist weniger Erträge, dafür umso bessere Trauben.
Jorge Ordoñez und seine Liebe zu Calatayud
Nach dem interessanten Ausflug in die Rebberge geht es zurück in die Kellerei. Dort treffen wir auf Jorge Ordoñez. Irgendwie habe ich mir den Mann grösser vorgestellt. Er ist ca. 1.70 m gross, mit Glatze – was man aber nicht sieht, weil er fast immer seinen Hut auf hat – und eine sehr einnehmende Persönlichkeit. Der Endfünfziger stammt aus einer Weinhandelsfamilie aus Malaga. Seit Kindesbeinen an hat er in der familieneigenen Weinhandlung mitgeholfen. Mit Mitte 20 ist er nach Amerika emigriert und hat dort seine eigene Distribution für spanische Weine aufgebaut. Heute führt sein Sohn das Geschäft und Jorge ist seit zwei Jahren wieder mehrheitlich in Spanien, um sich um seine Projekte zu kümmern. Das grösste davon ist Breca.
«Wie kam es dazu?», will ich wissen. Jorge erzählt, dass er einen aussergewöhnlichen Garnacha produzieren wollte und dazu das geeignete Terroir gesucht hat. In Munebrega stand die alte Genossenschaftskellerei zum Verkauf und 2010 hat er den Keller und dazu 250 Hektar Reben gekauft. Und warum gerade dort? Jorge holt aus: Calatayud sei wohl die Urheimat des Garnachas. Von hier aus haben ihn die Könige von Aragon nach Südfrankreich und Sardinien (dort bekannt als Cannonau) gebracht. «Hier in Calatayud haben wir noch die alten Klone, die kleine Erträge geben und tolle Trauben produzieren», erzählt er mit grosser Begeisterung. Allein mit dem Verwenden eines neuen Klones könnte man mit demselben Aufwand das Doppelte produzieren, aber halt nicht in dieser Qualität. Und hier in diesen tollen alten Rebbergen entsteht für Jorge einer der besten Garnachas der Welt.
Viel Natur, kein Chichi
«Wir machen an den Weinen eigentlich nichts», meint er. Minimale Arbeiten im Rebberg, abwarten der Traubenreife – was hier bei den Rebbergen auf 800 und 1‘200 m ü. M schon mal Ende Oktober oder Anfang November werden kann. Die Lese erfolgt komplett von Hand. Die Trauben kommen in kleine Kistchen in den Keller, werden entrappt und mit Hefen aus den eigenen Weinbergen kontrolliert vergoren. Dann erfolgt der Ausbau, beim Oronta im Zementtank und teilweise in Barriques, beim Breca zu 100 % in Barriques aus französischer Eiche. Jorge führt uns durch den Keller. Neue Chromstahltanks mit Temperaturkontrolle, ein klimatisierter Barriquenkeller, eine einfache Abfüllanlage – that‘s it. Kein Chichi, kein Hightech, kein Prunk. Alles einfach und funktional. Die Qualität des Weins entsteht im Weinberg und nicht im Keller. Eine alte Weisheit, die im Falle der Bodegas Breca zu 150 % zutrifft.
Das Gesehene wird verkostet
Nun dürfen wir das Ergebnis degustieren. Oronta und Breca schmecken nochmals besser, jetzt wo ich weiss, woher diese Trauben kommen. Und ich verstehe diese Dichte und Opulenz, diese Fülle von reifen Beerennoten, aber auch die Frische, die der Wein trotz seines hohen Alkoholgehalts hat. Da ist auch die Mineralität, welche die tief wurzelnden Reben in den Wein bringen und diese Ausgewogenheit und Balance – sei es beim Oronta oder beim Breca. Und – und das scheint mir aktuell besonders wichtig – diese Weine sind trocken. Das heisst durchgegoren und ganz ohne Restzucker ausgebaut. Nichts von diesen Tutti-Frutti-Weichspülern, wie sie leider immer mehr auf dem Markt zu finden sind. Beim Degustieren fällt mir dann diese Zeile auf, die im Verkostungsraum an die Wand geschrieben ist:
«Just when you think you’ve tasted the wine world’s greatest values, along comes the Bodegas Breca.» (Zitat von Robert Parker). Wie Recht er doch hat!
Kulinarischer Abschluss
Und dann gibt es endlich was zu essen. Jorge macht eine Paella, die er selber kreiert hat: Streifen von Rebhuhn mit viel schwarzem Trüffel aus Aragon. Eine wahre Offenbarung an diesem kalten Februartag. Danach werden Rebstöcke eingefeuert und auf der Glut braten wir ein paar herrliche Lammkoteletts. Dazu gibt’s einen Breca 2010 und 2014. Unglaublich, wie frisch der 2010er noch schmeckt und das Potenzial, welches der Wein noch hat. «Dry Farming», meint Jorge und lächelt verschmitzt.
Jorge Ordoñez ist eine Persönlichkeit, die sich stark der Qualität verpflichtet fühlt. Alle seine Weine, die wir probiert haben, sind sehr gut, einige davon sogar hervorragend. Besonders aufgefallen ist uns der Vatan, ein Toro mit dichter Kraft und trotzdem Eleganz und Trinkigkeit. Das Rezept? Alte Stöcke und Dry Farming eben. Zum Schluss trinken wir eine Art Super-Breca. Ein Wein, den Jorge im Verlaufe dieses Jahres zum ersten Mal lancieren wird. Kann man den Breca noch toppen? Ich sage: Ja, kann man. Aber mehr davon ein andermal.
Urs Fischer, Ende Februar 2017